Beginnjahr 2011 Abschlussjahr 2014

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Ländercode Österreich Sprachcode Deutsch, Englisch
Schlagwörter DeutschMehrsprachigkeit, Langzeitstudie, Sprachverlust
Abstrakt

Was ist Sprachverlust (language attrition)?

Ganz kurz erklärt bedeutet language attrition das Vergessen oder Verlernen einer Sprache. Kennen Sie dieses Gefühl: Sie sind im Urlaub oder sprechen mit Leuten aus dem Ausland, müssen plötzlich ihr Schulfranzösisch, oder das Italienisch aus dem Kurs vor ein paar Jahren herauskramen … und es gibt nur ein Wort, das Ihre Sprachkenntnisse beschreiben kann: rostig.

Wenn Sie wissen, wovon wir reden, dann sind sie mit language attrition bereits vertraut; denn der Fachbegriff bedeutet nichts anderes als "der Verlust von Sprachkenntnissen bei einer Einzelperson über einen Zeitraum hinweg" (de Bot & Weltens 1995). Im Grunde sieht sich dieser Zweig der Forschung an, wie Menschen Sprachen, die sie kaum oder gar nicht benutzen, vergessen und verlernen.

Es gibt zwei Forschungsfelder, die mit unserem überlappen, aber doch getrennt gesehen werden müssen. Sprachverschiebung oder Sprachwechsel (language shift) ist ein Gebiet in der Soziolinguistik, also dem Bereich der Sprachforschung, die Sprache in der Gesellschaft erforscht. Hier wird untersucht, wie eine Sprache eine andere innerhalb einer Sprachgemeinschaft verdrängen oder sogar ganz ersetzen kann. Das passiert vor allem in Sprachgemeinschaften, wo zwei oder mehr Sprachen verwendet werden, meist über mehrere Generationen hinweg und häufig in Migrationskontexten. In Österreich kommt es beispielsweise vor, dass in türkischen Sprachgemeinschaften die älteste Generation (meist die Einwanderergeneration) überwiegend Türkisch spricht; die nächste Generation ist zweisprachig, und die jüngste Generation kann fast ausschließlich Deutsch und möglicherweise gar kein Türkisch mehr. Die extremste Form von Sprachverschiebung ist der Sprachtod: dieser erfolgt, wenn eine Sprache keine Muttersprachler mehr hat, weil die letzten verstorben sind.

Pathologischer Sprachverlust oder Aphasie (language loss) ist ein Untergebiet der Neurolinguistik. Aphasie ist eine Sprachstörung (Probleme beim Verstehen oder Produzieren von Sprache), die bei Menschen mit einer Hirnschädigung auftreten kann; solche Schädigungen entstehen beispielsweise durch Verletzungen (Schädel-Hirn Trauma), Schlaganfälle oder Tumore.

Unser Forschungsprojekt fällt nicht in diese beiden Sparten. Wir untersuchen nicht-pathologischen Sprachverlust (language attrition) in gesunden Menschen; und wir beziehen uns nicht auf eine Sprachgemeinschaft, sondern auf Einzelpersonen.

Viele Studien beschäftigen sich mit dem Verlust, der Erst- bzw. Muttersprache. Dies passiert häufig bei MigrantInnen, die in ein Land ziehen, wo eine andere Sprache als ihre Muttersprache gesprochen wird. Dort verwenden sie dann ihre Erstsprache weniger oder manchmal auch gar nicht mehr, und ihre Kenntnisse in der Sprache verkümmern. Andere Studien beschäftigen sich mit dem Vergessen/Verlernen von Sprachen, die Menschen nach ihrer frühen Kindheit, meist in einem formellen Kontext wie der Schule als Fremdsprachen gelernt haben, und die sie dann später kaum oder gar nicht mehr benutzen (z.B. weil sie die Schule abschließen oder keinen Bezug mehr zur Sprache haben). LAILA gehört zu dieser Gruppe.

 Was ist 'die Dynamik der Mehrsprachigkeit'?

Lange Zeit wussten wir nicht wirklich viel darüber, wie das Denken bei Menschen mit mehr als einer Sprache tatsächlich funktioniert. Wissenschaftler hielten eher an einem "Ein Hirn - Eine Sprache" Konzept fest, und zwei/ mehrsprachige Menschen galten nur als "gut" oder "akzeptabel", wenn sie ihre Sprachen "perfekt" beherrschen; also jeweils gleich gut wie jemand, der nur diese eine Sprache spricht. Zweisprachige Menschen sollten demnach so denken und agieren, als wären sie zwei einsprachige Menschen im selben Körper. Wenn sie mit den monolingualen nicht gleichziehen oder mithalten konnten, galten Sie als Sprecher zweiter Klasse, oder gar als "halbsprachig" (semilingual). Man nahm an, dass die Sprachsysteme im Hirn voneinander getrennt waren - oder zumindest wollte man es so haben.

Heute wissen wir, dass die Sprachsysteme von Menschen mit mehr als einer Sprache nicht völlig voneinander abgeschottet sind - auch nicht bei Leuten, die ihre Sprachen beim Sprechen nie mischen. Stattdessen haben wir ein großes Sprach(en)system, das in Verbindung mit vielen anderen Systemen steht (mit der Umwelt oder mit andern Teilen des Gehirns und Denkens). Bei Mehrsprachigen sind die einzelnen Sprachen Untersysteme im großen Gesamtsprach(en)system; sie sind alle miteinander verbunden und stehen in Wechselwirkung. Der Einfluss von einem (Unter)system aufs andere geht hierbei in alle Richtungen, nicht nur in eine.

Was das Erlernen von (Fremd)Sprachen betrifft, so sehen traditionelle Sprachzuwachsmodelle den Fortschritt als einfache, mehr oder minder gerade Linie: man gibt so-und-so viel ins System hinein, und der Sprachlerner macht so-und-so viel Fortschritt. Lernen wird hier als Abfolge von geordneten Einzelschritten gesehen.

Wenn wir uns aber biologische Wachstumsmodelle ansehen, dann wird schnell klar, dass die Natur nicht so arbeitet. Wachstum läuft oft ruckartig; es geht mal schneller, mal langsamer, und mal gar nicht; mal auf und mal ab. Dabei sind so viele Faktoren im Spiel, dass man unmöglich sagen kann, dass dieser oder jener input garantiert ein bestimmtes Ergebnis hervorbringt. Eine weitere Schwachstelle von traditionellen linearen Wachstumsmodellen ist, dass sie Wachstum nur als Zuwachs sehen, und negatives Wachstum selten oder gar nicht mit einbeziehen. Es gibt also, mit anderen Worten, viel Forschung über Sprachzuwachs und Sprachlernen, aber nicht über Sprachverlernen und -vergessen.

Auf den ersten Blick klingt es logisch: um eine Sprache auf einem bestimmten Niveau zu halten, muss man genau gar nichts tun. Aus der Erfahrung wissen wir aber, dass dem nicht so ist. Menschen können ohne weiteres mehrere Sprachen beherrschen, verwenden und auch später dazulernen, aber die Sprachen stehen dabei gewissermaßen in Konkurrenz zueinander, weil wir nur begrenzte kognitive Kapazitäten zur Verfügung haben. Und wie wir wissen, muss man nicht nur üben, um in etwas gut zu werden … man muss auch üben, um darin gut zu bleiben. Da bei mehrsprachigen Menschen gleich mehrere Sprachen um Ressourcen (im Sinne von Zeit, Energie und kognitiven Kapazitäten) konkurrieren, sind sie zumindest in Teilen ihres Sprach(en)systems anfälliger für Sprachverlust. Einfacher ausgedrückt: dass ein Mensch mit nur einer Sprache diese kaum oder gar nicht verwendet, ist nicht allzu wahrscheinlich; dass ein Mensch mit mehreren eine oder mehr davon kaum verwendet, schon eher.

Alles in allem können wir das Sprach(en)system von Menschen als dynamisches System verstehen, das man nicht ohne den Zusammenhang mit der Umwelt verstehen kann. Das System setzt sich aus mehreren Untersystemen zusammen, die ständig mit sich selbst, miteinander und mit der Umwelt interagieren. Sprach(en)systeme müssen sich daher auch „ständig an sich ändernde Umweltbedingungen und (sich verändernde) innere Gegebenheiten anpassen, um ein (dynamisches) Gleichgewicht halten zu können.“ (Herdina & Jessner 2002: 86).

 Was genau erforschen wir?

Bei LAILA wollen wir herausfinden, was mit den Sprachkenntnissen von mehrsprachigen Personen passiert, wenn sie diese Sprachen nicht mehr lernen oder sogar gar nicht mehr benutzen. Uns interessiert auch, ob bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse länger erhalten bleiben als andere, und ob mehrsprachige Personen bestimmte (angeeignete) Fähigkeiten besitzen, die konstant bleiben, selbst wenn sich ihr Sprachvermögen verändert.

Erhebungstechniken und Auswahlverfahren

Wer sind unsere Testpersonen?

Wir untersuchen mehrsprachige Jugendliche und junge Erwachsene, die gerade ihre Schulbildung abschließen. Die erste Testreihe erfolgt immer vor der Matura (Reifeprüfung), die nächste dann nach etwa einem Jahr bzw. zwei Jahren.

ProbandInnen bei LAILA müssen folgende Kriterien erfüllen:

  • Sie sind im letzten Schuljahr (12/13. Schulstufe)
  • Sie haben während der Schullaufbahn mindestens zwei lebende Fremdsprachen gelernt (z.B. Englisch und Italienisch). Latein und Altgriechisch werden nicht gezählt. SchülerInnen, die bereits mit mehr als einer (Mutter)Sprache aufgewachsen sind, dürfen gerne mitmachen, sind aber nicht unsere eigentliche Zielgruppe.

Testpersonen müssen nicht in den Sprachen maturieren, und müssen auch nicht vorhaben, diese Sprachen weiter zu lernen. Wir nehmen sogar sehr gerne Leute, die sich gar nicht sonderlich für Fremdsprachen interessieren - solange sie mindestens zwei gelernt haben, sind sie dabei.

Was und wie testen wir?

Bei LAILA sehen wir uns zuerst verschiedene Hintergrundfaktoren an (Bildungs- und Sprachhintergrund, Interesse und Einstellung zu Sprachen), und dann die Sprachkenntnisse in den jeweils erlernten Fremdsprachen. Zusätzlich sehen wir uns noch das Sprachbewusstsein an: wie Menschen denken und Sprache verarbeiten.

TeilnehmerInnen füllen zuerst einen Fragebogen aus, und machen dann kurze schriftliche Sprachtests. Dann gibt es ein paar Knobelaufgaben am Computer, und schließlich Sprechaufgaben in den verschiedenen Fremdsprachen. Testungen laufen sehr angenehm und entspannt ab: es gibt keine falschen Antworten, keinen Druck und auch keine Noten; alle Daten und Ergebnisse sind vertraulich.

Die erste Testreihe findet für gewöhnlich an der Schule statt - das macht die Sache für die SchülerInnen einfacher. Meist nehmen alle geeigneten SchülerInnen im Abschlussjahrgang teil. Der schriftliche Teil der Tests wird mit der ganzen Klasse gleichzeitig gemacht (entweder online am Computer oder auf Papier); die mündlichen Interviews werden dann einzeln durchgeführt.

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