Beginnjahr 2012 Abschlussjahr 2012

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Ländercode Österreich Sprachcode Deutsch
Schlagwörter DeutschBretagne, soziale Schulrealität, getrennte Mehrsprachigkeit
Abstrakt

Im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit wird der Frage nachgegangen, wie Schüler*innen in einer bretonischen Immersionsschule der gemeinnützigen Organisation DIWAN, die in Frankreich zu den Minderheitenschulen zählen, ihre individuelle Mehrsprachigkeit erleben. Hierbei soll die Hypothese überprüft werden, ob sich ihre Mehrsprachigkeit durch das Erleben „getrennter“ Mehrsprachigkeit (separated multilingualism, vgl. BLACKLEDGE/CREESE 2010) auszeichnet.

Die Arbeit schreibt sich in die ethnographische Forschung der empirischen Sozialforschung ein. Die Beantwortung der Fragestellung sowie die Auswertung der aufgestellten Hypothese erfolgen in mehreren Schritten:

Zuallererst wird die angesprochene Problematik in ihren Kontext eingebettet. Neben einer Beschreibung der soziolinguistischen Situation der Region der Bretagne, die sich im Westen Frankreichs befindet, wird die Organisation DIWAN und deren Schulnetz vorgestellt, bevor sich präziser der Schule, in welcher die ethnographischen Daten erhoben wurden, zugewendet wird.

Die bretonische Sprache, die als einzige keltische Sprache noch auf dem europäischen Kontinent gesprochen wird, zählt heute zu den weltweit anerkannten Minderheitensprachen. Seit ihrem Entstehungsjahr 1977 setzt sich die gemeinnützige Organisation DIWAN für das Weiterleben der bedrohten bretonischen Sprache ein, indem sie mithilfe der Gründung von Immersionsschulen kanadischen Vorbilds bereits ein vollständiges Schulsystem, vom Kindergarten bis zur Matura, formiert hat. Wie bereits dargelegt, basiert diese Forschungsarbeit auf der Teilnehmenden Beobachtung in einer dieser Schulen, welche im deutschsprachigen Raum der Sekundarstufe I entspräche. Sie befindet sich in der Stadt Quimper (Kemper auf Bretonisch), im westlichsten Teil der Bretagne.

In einem zweiten Schritt werden die theoretischen Konzepte, auf die sich diese Arbeit stützt, dargestellt. Vor allem der mittlerweile sehr weit gewordene Begriff der Mehrsprachigkeit wird für die Zwecke dieser Arbeit als dynamisches „Kontinuum“ definiert, welches das gesamte sprachliche Repertoire eines Individuums miteinschließt (WEBER/HORNER 2012). Über dies wird das Konzept der Mehrsprachigkeit auf den schulischen Kontext übertragen und aktuelle Modelle, die Mehrsprachigkeit auf positive Weise fördern, werden vorgestellt (z. B. recursive & dynamic bilingualism, VGL. GARCÍA 2009 ; flexible/integrated & separated multilingualism, VGL. BLACKLEDGE/CREESE 2010). Unter letzteren Begrifflichkeiten wird Folgendes verstanden: „Integrierte“ Mehrsprachigkeit ist dem Konzept des Sprachenwechsels (code-switching) ähnlich und besagt, dass mehrere Sprachen in einer Äußerung vermischt werden. Dem steht „getrennte“ Mehrsprachigkeit gegenüber, da Sprachen laut diesem Ansatz in einer Äußerung nicht vermischt, und deshalb nacheinander verwendet werden.

Abgesehen von den theoretischen Konzepten der Mehrsprachigkeit sieht die Arbeit die soziale Entstehung von Raum (LEFEBVRE 1974) verbunden mit den Konzepten Sprachenregime (KROSKRITY 2000; COULMAS 2005) und einer materialistischen Semiotik (BLOMMAERT/HUANG 2010), als bedeutend an.

Als dritten Schritt werden die methodologischen Ansätze zunächst theoretisch beschrieben, bevor die empirischen Daten vorgestellt, ausgewertet und hinsichtlich der Forschungsfrage analysiert werden. Für die Beantwortung der Forschungsfrage werden folgende Methoden trianguliert herangezogen: Linguistic Landscaping, Sprachenportraits sowie Narrative Interviews. Es bleibt zu erwähnen, dass für die Auswertung der Sprachenporträts sowie der narrativen Interviews auf die qualitative Inhaltsanalyse mit induktiver Kategorienbildung nach Mayring (20108) zurückgegriffen wurde.

Ein letztes Kapitel widmet sich zuerst auf theoretischer Ebene der Triangulation der Forschungsarbeit und hat über dies zum Ziel Gegensätze und Gemeinsamkeiten zwischen den biographischen Forschungsmethoden der Sprachenportraits und der erzählenden Interviews hervorzubringen.

Ergebnisse

Die Forschungsfrage und aufgestellte Hypothese betreffend kommt die Forschungsarbeit zu folgenden Schlussfolgerungen:

Der schulische Raum zeichnet sich durch einen monolingualen Habitus (GOGOLIN 1994) in bretonischer Sprache aus, mit welchem ein einsprachiges Sprachenregime einhergeht. Dieses wirkt sich vor allem auf die Ebene der administrativen Sprache (LÜDTKE 1999) aus. Sobald man das Schulgelände betritt, findet man sich in einem einsprachigen bretonischen Raum wieder, in welchem die Schüler*innen als mehrsprachige Subjekte (in Entwicklung) (KRISTEVA 1977; KRAMSCH 2006) zu lokalisieren sind. Die Lernenden erleben ihre Mehrsprachigkeit und sind sich dieser bewusst: Sie machen sich Gedanken über den sozialen, kulturellen und emotionalen Kontext, in den ihre Sprachen eingebettet sind.

Da sie offiziell durch das Sprachenregime dazu angehalten werden in der Schule nur die bretonische Sprache zu benutzen, erleben sie häufig eine „getrennte“ Mehrsprachigkeit. Dieser „getrennten“ Mehrsprachigkeit mit Bretonisch steht in informellen Momenten eine „getrennte“ Mehrsprachigkeit mit Französisch gegenüber. Französisch stellt für den Großteil der Schüler*innen die L1 dar und gerade in informellen Momenten hat sich gezeigt, dass ihnen die Benutzung des Französischen leichter fällt, vor allem wenn sie letztere in der Schule länger nicht verwenden durften. Auf die Ebene der nicht administrativen Sprache kann das vorherrschende Sprachenregime kaum Einfluss nehmen, da dies Momente betrifft, die fernab der „Institution“ stattfinden, wenn sich die Lernenden etwa „alleine“ fühlen (in den Pausen oder während des Mittagessens, im Unterricht beim Flüstern mit den Sitznachbar*innen, vorausgesetzt die Lehrperson hört dies nicht etc.). Die „getrennte“ Form von Mehrsprachigkeit auf Ebene der administrativen Sprache hat Auswirkungen auf die Gefühlswelt der Schüler*innen. Die narrativen Interviews machen deutlich, dass sie häufig ein Gefühl von Zwang verspüren, die bretonische Sprache verwenden zu müssen, auch wenn sie dies in ausgewählten Situationen nicht wünschen.

Neben der „getrennten“ Mehrsprachigkeit lässt sich selten, aber dennoch - und dies nur auf Ebene der nicht administrativen Sprache - eine Form von „integrativer“ Mehrsprachigkeit feststellen. In informellen Momenten in der Schule oder zuhause passiert es manchen Lernenden, dass sie mehrere Sprachen mischen, was sie sehr als positiv empfinden und als Spaß beschreiben. Insofern ist der aufgestellten Hypothese nur teilweise zuzustimmen. Es hat sich herauskristallisiert, dass das Erleben von Mehrsprachigkeit komplex bleibt und eng verbunden mit vielschichtigen Umständen, von denen nur einige ausgewählte im Rahmen dieser Arbeit erläutert werden, zu deuten ist.

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